Zu Tisch mit Nadine Keßler

"Würden alle ihre Karotten richtig lagern, würde das einen riesigen Unterschied machen."

Quelle: Frau Keßler

Viele kennen das Problem: Kurz nach dem Einkauf bekommt der Brokkoli gelbe Flecken und der Salat lässt die Blätter hängen. Diese vorzeitigen Alterungserscheinungen lassen sich oft auf eine einfache Ursache zurückführen: die falsche Lagerung. Gartenbauingenieurin Nadine Keßler möchte hier Abhilfe schaffen. Mit ihrem Unternehmen Lager.Ort klärt sie über die richtige Lagerung von Obst und Gemüse auf und möchte so die Verschwendung von Lebensmitteln reduzieren.

Sie sind Expertin, wenn es um die richtige Lagerung von Obst und Gemüse geht. Wie kam es dazu?

Ich arbeite schon seit meinem Gartenbau-Studium als Verkäuferin auf einem Bauernmarkt in München. Dabei fiel mir immer wieder auf, wie wenig Menschen über die richtige Lagerung von Obst und Gemüse wissen. Wenn ich meine Kund:innen fragte, ob ich das Grün an den Radieschen abschneiden oder dranlassen soll, antworteten viele‚ dranlassen, dann hält es sich länger‘. Das ist ein klassischer Irrglaube: Das Grün zieht Wasser aus den Knollen und führt dazu, dass diese sehr schnell verschrumpeln. Ich war überrascht, dass sich damit erst so wenige Menschen beschäftigt hatten und fing im Zuge meiner Bachelorarbeit an, zu dem Thema zu forschen.
Die Ergebnisse zeigten: Informationen über die korrekte Lagerung von Lebensmitteln sind im Internet zahlreich zu finden, jedoch oft nicht so aufbereitet, dass Menschen etwas damit anfangen können. So ist die Idee für mein Projekt Lager.Ort entstanden. Ziel ist es, den Menschen ihre tägliche Nahrung wieder näherzubringen und ein Verständnis dafür zu schaffen, wie lange Lebensmittel eigentlich halten können.

Welchen konkreten Tipp geben Sie ihrer Kundschaft besonders gerne?

Möhren verlieren viel Wasser und werden daher schnell gummiartig. Daher lagern sie am besten in einer geschlossenen Box mit einem Küchen- oder Handtuch unter und über den Möhren. Das Tuch kann die überschüssige Flüssigkeit aufnehmen und verhindern, dass die Möhren faulen. Das Tuch jedoch unbedingt regelmäßig austauschen! Und eine gute Möglichkeit, um Gemüse bis auf den letzten Rest zu nutzen, ist aus meiner Sicht das Regrowing, bei dem man aus Resten neue Pflanzen beziehungsweise Lebensmittel einfach nachwachsen lässt. Das funktioniert mit Salatstrunk, Zwiebelwurzen oder anderen Gemüseresten und ist gar nicht kompliziert.

Was empfehlen Sie zur Lagerung von angeschnittenem Obst?

Die Schnittstellen bieten Angriffsfläche für Mikroorganismen und somit Schimmelbefall und sollten schnell verbraucht werden. Angeschnittenes Gemüse und Obst luftficht in einer sauberen, geschlossenen Dose oder in einem Bienenwachstuch lagern.

Und was machen Ihrer Erfahrung nach die meisten Menschen bei der Lagerung falsch?

Die Obstschale! Obst, das außerhalb des Kühlschranks lagert, sollte besser nebeneinander liegen, damit es nicht so gedrückt wird. Aber auch, dass viele Äpfel und Bananen nebeneinander lagern, ist falsch. Äpfel strömen besonders viel von dem Reifegas Ethylen aus, dass dazu führt, dass Bananen oder Avocados schneller reif und braun werden. Wer das vermeiden möchte, sollte Äpfel, Tomaten und Bananen in unterschiedlichen Schalen lagern.

Inwiefern spielen Regionalität und Saisonalität bei der Haltbarkeit eine Rolle?

Regionale und saisonale Produkte zu kaufen hat immer einen positiven Einfluss auf die Haltbarkeit, weil die Lebensmittel einen verhältnismäßig kurzen Transportweg haben und dadurch nur kurz gelagert werden müssen, bevor sie bei den Kund:innen ankommen. Nehmen wir mal das Beispiel Äpfel: Wenn ich außerhalb der Saison Äpfel aus Deutschland kaufe, sind das gelagerte Äpfel. Diese haben dann natürlich schon eine längere Lebensdauer hinter sich, werden schneller mehlig und sind nicht mehr so knackig.

Der Sommer neigt sich dem Ende, der Herbst steht vor der Tür: Welche Tipps haben Sie aktuell für Verbraucher:innen?

Aktuell sind wir noch in der Beerensaison: Durch den vielen Regen in diesem Jahr kann es passieren, dass in den Packungen teils schimmelige Beeren sind. Es empfiehlt sich daher, sie zuhause vorsichtig aus der Schachtel zu nehmen, auf einem Küchentuch nebeneinander auszubreiten und die schimmligen Exemplare auszusortieren, sodass andere Beeren nicht befallen werden.

Steinobst wie beispielsweise Nektarinen, Pfirsiche oder Zwetschgen sollte möglichst im Kühlschrank lagern, da es besonders schnell reift und matschig wird.

Auch Birnen gibt es im September wieder aus der Region. Ähnlich wie Äpfel reifen diese nach und sollten bei längerer Lagerung möglichst auch im Kühlschrank lagern. Ansonsten gilt ebenso wie bei Kernobst auch: Um das Obst vor dem Verzehr weiter nachreifen zu lassen am besten rauslegen, die anderen Exemplare können im Kühlschrank bleiben.

Auch Tomaten sind im August und September aus heimischem Anbau zu haben. Das Gemüse ist ebenfalls nachreifend und noch etwas grünlichere, nicht ganz reife Exemplare können bei der Lagerung zuhause – außerhalb des Kühlschranks – mit etwas Zeit schön rot werden.

Kartoffeln sind das ganze Jahr aus der Region zu haben. Frische Kartoffeln gibt es zwischen Mai und Oktober, von November bis April handelt es sich um Lagerware.  Bei keimenden oder stark grünen Kartoffeln ist allerdings Vorsicht geboten: Sie enthalten dann Solanin, was zu Magenschmerzen, Durchfall oder Erbrechen führen kann. Sind die Keime nur wenige Zentimeter lang und auch noch nicht in allzu großer Zahl vorhanden, kann man diese jedoch großzügig herausschneiden und die Kartoffel trotzdem noch bedenkenlos essen.

Apropos Farbveränderung: Bei Brokkoli ist eine Gelbfärbung nicht schlimm: Wenn sich das Gemüse gelb färbt, öffnen sich die Blüten. Der Brokkoli schmeckt dann etwas anders, kann aber immer noch gegessen werden.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Umsetzung Ihrer Tipps?

Die größte Herausforderung sehe ich darin, Routinen und Gewohnheiten umzustellen. Viele Lebensmittel, wie beispielsweise Steinobst, gehören in den Kühlschrank. Da kann es dann schnell auch mal eng werden. Oder manche Menschen mögen es nicht, kaltes Obst zu essen. Vieles ist aber eine Frage des Managements: Wenn ich zum Beispiel am Morgen eine Nektarine im Müsli essen möchte, die noch nicht ganz weich ist, sollte ich am Abend vorher daran denken, sie rauszulegen. Solche Routinen und Abläufe müssen erst einmal gelernt werden.

Woran liegt es, dass viele Menschen nicht viel über die richtige Lagerung von Lebensmitteln wissen?

Das liegt an zwei Dingen: Zum einen lassen sich Tipps und Vorgehensweisen der Großeltern nicht mehr immer umsetzen. Wer hat in der Großstadt beispielsweise noch Platz für eine Kartoffeltruhe oder besitzt einen Vorratskeller? Zum anderen fehlt es an Bildungsangeboten –für Kinder müsste Lebensmittelmanagement im Lehrplan verankert sein – beispielsweise in Form von Schulgärten, sodass Kinder früh lernen, wo Nahrungsmittel herkommen und wie viel Arbeit in ihnen steckt. Auch im Lebensmitteleinzelhandel sehe ich die Verantwortung: Hier sollte die Lagerung richtig vorgemacht werden und zusätzlich Hinweise zur Lagerung auf die Verpackungen gedruckt werden.

Die Lagerkarten sind das Herzstück Ihres Projekts Lager.Ort. Was hat es damit auf sich? 

Die Lagerkarten sind direkt für Verbraucher:innen gedacht. Es handelt sich um aktuell 18 Lagerkarten im Spielkartenformat, die wichtige Informationen über die Lagerung gängiger Gemüse- und Obstarten zusammenfassen. Sie enthalten praktische Hinweise für den Alltag wie zum Beispiel, dass Avocados in der Nähe von Äpfeln schneller nachreifen. Hanna Boiger, mit der ich das Unternehmen im Herbst 2020 zusammen gegründet habe, verdanke ich die schönen Illustrationen auf den Karten.

Mit Lager.Ort haben Sie auch in Zukunft noch viel vor. Wie geht es mit Ihrem Projekt weiter?  

Ziel ist es, zum einen die Lagerkarten auszubauen und mehr Artenvielfalt reinzubringen. Wir arbeiten aktuell auch an neuen Hilfsmitteln für den Alltag – bald kommt zum Beispiel unser Saisonkalender raus. 

Zukünftig habe ich darüber hinaus geplant, Vorträge zu dem Thema zu halten und Workshops zu geben. Ich habe festgestellt, dass die Menschen beim Thema Lebensmittelmanagement an die Hand genommen werden wollen. Unsicherheiten können dazu führen, dass viele gar nicht erst anfangen, etwas zu ändern. Deshalb ist es hilfreich, wenn sie jemanden haben, dem sie direkt Fragen stellen können.