Esther Kern hält einen Sellerie samt Grün hoch.
Zu Tisch mit Esther Kern

„Wer Bezug zur Nahrung hat, wirft weniger weg!“

Quelle: Patrick Schuermann

„Leaf to Root“ nennt Esther Kern ihren Ansatz, der sich der vollständigen Verwertung von Gemüse und Obst verschrieben hat. Im Interview erklärt sie, was es dabei zu beachten gilt.

Was ist „Leaf to Root“ und welche Philosophie steckt hinter dem Konzept?
„Leaf to Root“ ist das „Nose to Tail“ für das Gemüse. „Nose to Tail“ bedeutet ja, dass man Tiere von der Nase bis zum Schwanz isst, also zum Beispiel auch die Innereien oder andere Teile, die nicht so edel sind – und beim Gemüse ist es eigentlich genau dasselbe. Beim Gemüse kennen wir alle die „Filetstücke“, aber ansonsten werfen wir vieles weg, ohne uns Gedanken zu machen, wieso wir das eigentlich tun. Das Konzept „Leaf to Root“ verfolgt dabei ganz verschiedene Ansätze: Von historischen Rezepten bis hin zu konkreten Anleitungen, um den Leuten wieder vermehrt den Bezug zu Lebensmitteln nahezubringen. Denn ich glaube, wenn wir diesen Bezug für uns wiederentdecken, schätzen wir die Nahrung auch wieder mehr wert – und werfen hoffentlich danach weniger weg.

Wie sind Sie auf diesen Ansatz gekommen und was hat Sie zum Handeln motiviert?
Irgendwann – als ich gerade Karotten in meinem eigenen Garten erntete – habe ich mich gefragt, wieso ich eigentlich das Grün nicht esse. Dann habe ich begonnen, mich zu erkundigen: Kann man das überhaupt essen? Ist das giftig? Und so weiter. Und dabei habe ich gemerkt, dass eigentlich niemand so richtig weiß, wieso wir das wegschmeißen. Meine Mutter meinte nur, dass man es auf dem Bauernhof nicht selbst esse, sondern den Tieren gebe. Andere hatten die vage Vorstellung, dass es giftig sein könnte. Diese Antworten haben mich neugierig gemacht, denn ich habe gemerkt, dass es im Grunde ja allen genauso geht wie mir.
Ich habe dann angefangen, Köchinnen und Köche nach speziellen Rezepten für Bestandteile wie Karottengrün zu fragen. Irgendwann habe ich gemerkt, dass das Thema so viel Potential hat, dass daraus eine wirkliche Aktion werden kann.
Zufälligerweise interviewte ich zur selben Zeit als Journalistin Fergus Henderson, der als Begründer der „Nose to Tail“-Bewegung gilt. Da kam mir dann die Idee, dass „Leaf to Root“ doch ein cooler Name für meine Aktion wäre. Erst da wurden mir auch die Parallelen zum Fleisch so richtig klar, von dem wir ja auch oft nur das „Filetstück“ kennen.

War der Transfer zum Gemüse denn so einfach? Man kann sich vorstellen, dass viele Leute offener für ein Konzept wie „Nose to Tail“ sind – allein schon aus Respekt vor dem Tier.
Beim Fleisch gibt es eigentlich keinen Grund dafür, gewisse Teile nicht zu essen. Da wurde so viel Energie reingesteckt und es geht schließlich um ein Lebewesen. Beim Gemüse ist es ein bisschen anders, denn ein gewisser Überfluss ist in der Landwirtschaft oder auch im eigenen Garten schon zum Düngen des Bodens nötig. Und das ist erst einmal nichts Schlechtes.
Aber das Interesse am Gemüse nimmt allgemein zu und immer mehr Menschen ernähren sich fleischlos oder zumindest fleischarm. Da ist es schon merkwürdig, dass zwar jeder die Karotte kennt, aber die meisten Leute noch nie das Karottenkraut probiert haben. Bei vielen hat es mittlerweile „Klick“ gemacht und sie fragen sich ernsthaft, was sie eigentlich davon abhält. Und in solchen Momenten merke ich schon, dass wir in einer Zeit leben, in der viele Leute sehr reif für solche Gedanken sind.

Kennen Sie weitere Beispiele für Gemüsebestandteile, die im alltäglichen Gebrauch allzu oft im Müll landen?
Eines der wirklich guten Gemüsebestandteile zum Einstieg ist zum Beispiel das Radieschenblatt. Dieses schätzen viele Leute, da es schön ist und sich einfach verwenden lässt. Zum Beispiel, indem man es in den Salat hackt. Man kann sogar einen kompletten Salat auf Basis von Radieschenblättern machen – oder man nutzt es eher wie ein Gewürz zum Verfeinern.
Auch lassen sich die Blätter der meisten uns bekannten Kohlgewächse gut essen. Dazu gehören zum Beispiel Kohlrabi, Blumenkohl oder Brokkoli. Die Blätter und Blatttriebe, die häufig weggeschmissen werden, kann man einfach mitkochen.
Und bei der Wassermelone kennt man das Problem, dass am Ende immer ein riesiger Berg Schalen daliegt, der den halben Kompostkübel verstopft. Für diese Schalen gibt es viele leckere internationale Rezepte.

Birgt „Leaf to Root“ auch Gefahren? Bei welchen Gemüsebestandteilen sollte man aufpassen?
Man kann nicht einfach alles essen. Bei Nachtschattengewächsen wie Kartoffeln, Tomaten und Chili ist Vorsicht geboten. Denn darin ist das Alkaloid Solanin enthalten, das unser Körper in höheren Konzentrationen nicht verträgt. Hier sollte man sich bei der Zubereitung gut auskennen. Grundsätzlich empfehle ich, immer darauf zu achten, dass man Biogemüse einkauft.